Im internationalen Kontext kommt es vor, dass insbesondere ausländische Rechtsregeln gegenüber dem deutschen Recht stark abweichende Inhalte haben. Ist die Anwendung dieser Rechtsregeln mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar, darf die Regel gem. Art. 6 EGBGB nicht angewendet werden, man spricht von einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public). Eine solche Unvereinbarkeit ist bei einem Verstoß gegen Grundrechte gegeben. Weitere Beispiele finden Sie hier.
Mit einer derartigen Fallgestaltung hatte sich das OLG Köln beschäftigt. Ein englischer Staatsangehöriger, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebte und auch dort verstarb, hatt in seinem Testament englisches Erbrecht gewählt und Kinder als Erben nicht berücksichtigt. Seine gesamte Familie lebte in Deutschland. Auch sämtliche Vermögenswerte des Erblassers waren in Deutschland. Zu England hatte er ausser seiner Staatsangehörigkeit keine Beziehungen. Eines der Kinder machte Pflichtteilsansprüche geltend. Nach englischem Recht gibt es anders als im deutschen Recht keine derartigen Ansprüche. Das OLG hielt einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung für gegeben und gab der Klage statt. Hiergegen legten die Erben Revision zum Bundesgerichtshof ein.
Der Bundesgerichtshof wies die Revision zurück:
Die Anwendung des gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.
BGH v. 29.6.22 – IV 110/21