Immer wieder entstehen erhebliche Schwierigkeiten daraus, dass ein Erblasser Veränderungen in seiner Vermögenslage nicht in eine Änderung seines Testamentes einfließen lässt. Dies ist unproblematisch, wenn nicht einzelne Gegenstände ohne ausdrückliche Erbeinsetzung einzelnen Personen zugeordnet werden. Mit einem solchen Fall hatte sich der BGH zu befassen und wie folgt geurteilt:
Hat der Erblasser nach Testamentserrichtung eine nennenswerte Summe geerbt hat, so dass der einem Bedachten zugewandte Gegenstand – anders als zuvor – nicht mehr den weitaus größten Vermögensgegenstand im Nachlass des Erblassers darstellt, ist zunächst zu ermitteln, ob die letztwillige Verfügung überhaupt eine ungewollte Regelungslücke aufweist. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn bedacht hätte. Ein nach Testamentserrichtung eingetretenes Ereignis kommt hierfür in Betracht, falls dessen Kenntnis für die Entschließung des späteren Erblassers bedeutsam gewesen wäre. Das kann auch ein unerwarteter Vermögenserwerb des Erblassers sein.
Eine ergänzende Testamentsauslegung zur Schließung einer Lücke setzt weiter voraus, dass ein hypothetischer Wille des Erblassers ermittelt werden kann, anhand dessen die Lücke geschlossen werden könnte. Dabei darf ein den Verhältnissen entsprechender Erblasserwille nur unterstellt werden, wenn er auf eine bestimmte, durch Auslegung der letztwilligen Verfügung erkennbare Willensrichtung des Erblassers zurückgeführt werden kann. Lässt sich ein solcher Wille nicht feststellen, so muss es trotz vorhandener Regelungslücke bei dem bisherigen Auslegungsergebnis verbleiben. Dies erfordert von den Gerichten eine sehr sorgfältige Beurteilung. (BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 15/16, ErbR 2017, 613)
Franz M. Große-Wilde, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht, Bonn