In einer neuen Entscheidung hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Pflichtteilsergänzung geändert. Bisher war es erforderlich, dass die Pflichtteilsberechtigung sowohl zum Zeitpunkt der Schenkung als auch zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers bestanden haben musste. Nach der jetzt gültigen Rechtsprechung kommt es nur auf den Zeitpunkt des Todes an.
Hintergrund war ein Fall, bei dem ein Enkel Pflichtteilsansprüche stellt. Der Enkel war zum Zeitpunkt der Schenkung noch nicht geboren, nur seine Mutter lebte zu dieser Zeit. Da die Mutter zwischenzeitlich verstorben war, trat ihr Sohn an die Stelle der Mutter und konnte den Pflichtteil verlangen. Der BGH überdachte seine bisherige Position und urteilte jetzt, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB nicht voraussetzt, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand. ( Aufgabe der Theorie der Doppelberechtigung, so noch Urteile vom 21. Juni 1972 – IV ZR 69/71, BGHZ 59, 212, und vom 25. Juni 1997 – IV ZR 233/06, ZEV 1997, 373). Basis war eine neuerliche Auslegung der Vorschriften nach deren Wortlaut und der Entsteheungsgeschichte.
Beachtlich ist diese Rechtsprechung insbesondere bei der Eingehung einer 2. Ehe und früheren Schenkungen. Bisher waren diese ohne Bedeutung für den Anspruch der Ehefrau auf Pflichtteilsergänzung. Dies ist jetzt anders. Hier ist eine erbrechtliche Beratung mit entsprechenden Vereinbarungen der Ehepartner angezeigt.
RA/ FAErbR Franz M. Große-Wilde
Quelle: BGH vom 23.05.2012 – IV ZR 250/11, veröffentlicht in MDR 2012, 977 = ErbR 2012, 249 = NJW 2012, 2730 = ZErb 2012, 248 = EE 2012, 146 (Siebert) = ZEV 2012, 478 (m. zust. Anm. Otte)