Kaum ein gutes Haar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an den Begünstigungen für Erben von Unternehmensvermögen während der mündlichen Verhandlung am 8.7.2014 in Karlsruhe gelassen. Mit jeder weiteren Frage an die Vertreter der Bundesregierung wurde die grundlegende Kritik durch den Ersten Senat anschaulicher. Nach den Erörterungen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verschonungsregelungen im Herbst durch das Urteil des BVerfG aufgehoben werden, erheblich gestiegen. Das berichtet der Deutsche Steuerberaterverband e.V. in einer Pressemitteilung vom 29.7.2014. Der Verband war als vom BVerfG eingeladener Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung vertreten.
Vertrauensschutz geht vor!
Bei einer begünstigten Übertragung von Betriebsvermögen besteht kein Risiko, soweit ein Erb- oder Schenkungsfall durch einen Steuerbescheid entschieden ist. Der Bescheid gewährt selbst bei dessen Vorläufigkeit durch den gesetzlich fixierten Grundsatz des Vertrauensschutzes dem Steuerpflichtigen Sicherheit (vgl. den tabellarischen Kurzüberblick des Deutschen Steuerberaterverbands e.V. zu den Praxiskonsequenzen der bevorstehenden Entscheidung des BVerfG zum ErbStG). Bei Erb- oder Schenkungsfällen, die bis zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht durch einen Steuerbescheid veranlagt wurden, sieht es hingegen anders aus.
Für die Praxis unsicher: Teilnichtigkeit
Dem BVerfG stehen für seine Entscheidung verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. So kann das Gericht auch nur einzelne Vorschriften aufheben. Eine erhebliche Gefahr besteht für die Beratung, wenn das BVerfG nicht das ganze ErbStG, sondern allein die Verschonungsregelungen für verfassungswidrig erachtet. Dies würde bedeuten, dass die Begünstigungen für Unternehmensvermögen rückwirkend ab dem 1.1.2009 bei der Steuerfestsetzung nicht mehr anwendbar wären. Wegen des Fehlens von ausdrücklichen gesetzlichem Vertrauensschutzes kämen erhebliche, zum Steuerentstehungszeitpunkt unvorhersehbare Mehrbelastungen auf die Steuerpflichtigen zu. Dies hätte die Wirkung einer echten Rückwirkung. Da allerdings die Entscheidung des BVerfG Gesetzescharakter hat (vgl. § 31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG), ist davon auszugehen, dass das BVerfG bei einem Ausspruch der Teilnichtigkeit die von ihm selbst entwickelten Grundsätze zum Vertrauensschutz bei rückwirkenden Steuergesetzen beachten wird (vgl. Zipfel/Regierer/Vosseler in DStR 2014, S. 1089 ff.). Ebenso könnte das Gericht das ErbStG insgesamt aufheben. Aus haushaltspolitischen Gründen ist dies in der Vergangenheit immer nur rückwirkend geschehen. Ob das Gericht dies aber noch einmal so umsetzt, ist nach der bisherigen Entwicklung wenigstens zweifelhaft. Denn immerhin hat das BVerfG ja schon einmal das Gesetz aufgehoben.
Was hinterfragt das BVerfG?
Das BVerfG hat in der mündlichen Verhandlung nicht seinen eigenen Grundsatz angegriffen, dass eine gesetzliche Ungleichbehandlung zugunsten des mittelständischen Betriebsvermögens aus Gründen der Gemeinwohlbindung zulässig ist. Vielmehr monierte es mit seinen Fragen die Unschärfe sowohl der Gesetzesbegründung als auch die des Wortlauts des geltenden Rechts. Weder ginge der Förderungszweck für eine so weitreichende Begünstigung, wie sie derzeit bestünde, ausreichend aus den Gesetzesmaterialien hervor. Noch ließe der Gesetzeswortlaut im Detail erkennen, wer und was gefördert werden solle. Die Stellschrauben für eine zielgenauere, gerechtfertigte Verschonung traten durch die Fragen der Richterschaft deutlich hervor, so unter anderem:
- Warum sei keine Vermögensobergrenze für das begünstigte Betriebsvermögen eingeführt worden?
- Warum sei eine Begünstigung erst bei einem Verwaltungsvermögen von mehr als 50 % ausgeschlossen?
- Warum sei die Bindung der Begünstigung an die sog. „Mindestlohnsumme“ sowie „Lohnsummenfrist“ erst bei einer Beschäftigtenzahl von 20 Mitarbeitern aufgehoben?
Die Vertreter der Bundesregierung beriefen sich hierzu zwar mit treffenden Ausführungen auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Es bestehen aber nach Aussage des DStV Zweifel, ob dies dem BVerfG im Ergebnis ausreicht. Die weitere Entwicklung wird abzuwarten sein.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Holger Siebert, Alsfeld